Station 9
Sparen kann Schmerzen verursachen
In der medizinischen Akutversorgung ist im Wesentlichen gewährleistet, dass sich die Anspruchsvoraussetzungen, z.B. für Operationen, nicht am Lebensalter orientieren.
Da die Medizin vornehmlich an der Heilung des Körpers orientiert ist, kommt es zu einer Vernachlässigung und finanzieller Knappheit bei der für ältere Patientinnen und Patienten so wichtigen palliativen Versorgung und bei psychiatrischen und neurologischen, insbesondere den demenziellen Erkrankungen, die intensive Langzeitpflege erfordern.
Die davon betroffenen Menschen werden als „bloße Pflegefälle“ denunziert, womit indirekt auch die Arbeit des in diesem Bereich tätigen Personals tendenziell herabgesetzt wird. Die Einstellung „Wir sind ein reines Pflegeheim“ lässt wenig Raum für die Entwicklung eines Bewusstseins zur Wichtigkeit von Rehabilitation und dafür, dass sich Anstrengungen zur Aktivierung und Remobilisation auch finanziell lohnen.
Die Aufenthalts- und Pflegekosten bestreiten die Bewohner:innen grundsätzlich aus dem eigenen Einkommen. Reichen diese Mittel nicht aus, übernimmt der zuständige Sozialhilfeträger die Restkosten. Als frei verfügbares Geld verbleiben 20% des monatlichen Einkommens, die beiden Sonderzahlungen sowie ein gewisser Anteil des Pflegegeldes. Schon der aus dem Umgang mit Kindern kommende Begriff „Taschengeld“ zeigt deutlich, welch niedrige und wenig selbstbestimmte Position den in Alten- und Pflegeheimen lebenden Menschen hohen Alters zugebilligt wird. Da die Einkommenshöhen außerdem sehr variieren, stehen den Bewohner:innen für die Deckung ähnlicher Bedürfnisse unterschiedlich hohe Geldmittel zur Verfügung.
Es ist verständlich, dass nicht nur die gewinnorientierten, sondern auch die Betreiber:innen von mit öffentlichen Mitteln errichteten Alten- und Pflegeheimen auf eine wirtschaftlich zweckmäßige und sparsame Verwendung der Gelder achten. Allzu oft geht dies jedoch auf Kosten der Bewohner:innen, weil sie räumlich und in ihren Aktivitäten eingeschränkt werden.
So werden noch immer Zimmer für zwei und mehrere Personen gebaut, mit Badezimmern, die von zwei und sogar vier Erwachsenen benützt werden müssen, die keine verwandtschaftlichen oder freundschaftlichen Verbindungen haben. Das oft gehörte Argument „Aufgrund der Pflegebedürftigkeit kann das Bad allein ohnehin nicht genutzt werden“ geht an der Sache vorbei, denn viele Konflikte entstehen gerade aus solchen Gegebenheiten. Wenn diese Umstände dann zu herausforderndem Verhalten führen, erfordert deren Lösung viel Arbeitszeit und damit einen höheren Personalaufwand.
Ist die Personaldecke zu dünn, weil der Gesetzgeber lediglich einen niedrigen Personalschlüssel vorsieht und der Träger zusätzliche Dienstposten aus eigenen Mitteln finanzieren müsste, können viele erwünschte Angebote nicht realisiert werden.
Die Abläufe werden äußerst gestrafft, der Tagesrhythmus sieht streng festgelegte Zeiten für die Körperpflege oder die Mahlzeiten vor, für individuelle Vorlieben und Abweichungen ist wenig Raum.
Begleitete Spaziergänge oder Besuche sind nicht durchführbar und bei Personalmangel werden Freizeitaktivitäten wie Singrunden oder Gedächtnistraining als Erstes ganz gestrichen.
Selbst dringend gebotene Pflegehandlungen wie Toilettentraining müssen häufig unterlassen und durch die Verwendung von Inkontinenzmaterial ersetzt werden.
All diese finanziellen Strukturen schädigen ältere Menschen und zwingen die Mitarbeiter:innen dazu, gegen ihre berufsethischen Prinzipien zu handeln. Die durch den Personalmangel bedingte Überforderung führt wiederum zu einer sinkenden Attraktivität des Pflegeberufs.