Station 8
Unter Menschen und doch allein
Der ungeplante Aufenthalt in einer Krankenanstalt oder die unerwünschte Übersiedlung in ein Alten- und Pflegeheim stellen für ältere Menschen eine große Herausforderung, wenn nicht sogar eine Lebenswende dar.
Mit dem Wechsel von einem „sicheren“ Zuhause, von der gewohnten Umgebung mit vertrauten Menschen in eine vorerst undurchschaubare Institution verändert sich für die Betroffenen ihre gesamte Lebenssituation. Der Tagesrhythmus, die sozialen Kontakte und die alltäglichen Entscheidungen sind plötzlich fremdbestimmt. Dazu kommen zumeist körperliche Beeinträchtigungen, Schmerzen, Zukunftsängste und Verunsicherung. Es übernehmen medizinische oder pflegerische Fachkräfte die „Verantwortung“ für die Lebensgestaltung und die Erfüllung von Bedürfnissen älterer Menschen.
Diese Situation empfinden viele Menschen hohen Alters als eine Art des Zwangs und der Gewalt.
Dazu trägt ein unsensibles Gesprächsverhalten gegenüber den Bewohner:innen oder Patient:innen bei, wie sie ungeduldig anschreien, beschimpfen und beleidigen, sie wegen ihres Verhaltens maßregeln oder kritisieren („Stellen Sie sich nicht so an“), sie verächtlich beurteilen („er randaliert schon wieder“), sie mit Nichtbeachtung strafen oder von Sozialkontakten abhalten (durch separierte Sitzplätze beim Essen).
Menschen eines hohen Alters wie Kinder zu behandeln, also sie ungefragt duzen, nicht ausreden lassen, unangemessene Begriffe wie „füttern“ oder „Windeln“ verwenden sind psychische Gewaltelemente im Betreuungs- und Pflegealltag, ebenso das Missachten religiöser Bedürfnisse und das Nicht-ernst-nehmen von Gefühlen.
Gewalt geht aber nicht nur von einzelnen Personen aus, sondern entsteht auch durch bestimmte gesamtgesellschaftliche Einstellungen oder nicht weiter hinterfragte Vorgaben und Regelungen.
Müssen sich mehrere Erwachsene ein Zimmer teilen, verletzen die Mitarbeiter:innen bei ihren Pflegetätigkeiten die Grenzen der Intimsphäre, was Scham und Hilflosigkeit nach sich zieht.
Bei zu geringer Personalausstattung ist keine Zeit zu ausreichendem Toilettentraining vorhanden und die älteren Menschen werden auf Inkontinenzversorgung verwiesen, was eine tiefgreifende Verletzung der Menschenwürde bedeutet. Wenn für den Spaziergang der Einfachheit halber ein Rollstuhl anstatt des Rollators verwendet wird, so beschleunigt sich der Prozess der Immobilität und Abhängigkeit.
Fehlt es in einer Einrichtung an gerontologischem und geriatrischem Wissen, wird auf Krankheit und Behinderung nicht oder falsch reagiert. Das führt zu Pflegefehlern und bedeutet einerseits Schmerzen, Einschränkungen und psychisches Leid für die älteren Menschen, zieht aber auch hohe Kosten für das Gesundheitssystem nach sich.